FORUM KONKRETE KUNST
BIS ZUM 1. DEZEMBER VERLÄNGERT !!! immer samstags und sonntags zwischen 14 und 18Uhr sowie während der kommenden Konzertveranstaltungen geöffnet | nächste und zugleich letzte öffentliche Führungen am Sonntag, den 1. Dezember um 15 Uhr Dauer: ca. 60 Min. (keine Anmeldung erforderlich)Beginn: 00:00
Das FORUM KONKRETE KUNST ist eine Sammlung von rund 150 Werken der Konkreten Kunst von knapp 100 Künstlern aus 15 Ländern, die von 1993 bis 2018 in der Klosterkirche St. Peter und Paul auf dem Erfurter Petersberg beheimatet war. Von Beginn an ging der Gedanke eines „Forums“ weit über das Ausstellen von Kunstwerken hinaus und intendierte Austausch, Begegnung und Auseinandersetzung mit einer Welt, die nach der deutschen Wiedervereinigung weit und offen war. Neben einer permanenten und sich wandelnden Ausstellung von Dauerleihgaben der Künstler fand man hierfür in den jährlich stattfindenden Symposien das passende Veranstaltungsformat. Kunsthistoriker, Künstler, Naturwissenschaftler oder auch Philosophen hielten Vorträge und regten Diskussionen an. Die Ergebnisse dieser Symposien wurden in einer Schriftenreihe publiziert und sind Zeugnis einer langjährigen, engagierten Arbeit mit der Sammlung. Durch die geplante Umnutzung der Klosterkirche St. Peter und Paul kam es schließlich im November 2016 zur Schließung der Ausstellung auf dem Erfurter Petersberg.
Der allseitige Wunsch, das FORUM KONKRETE KUNST im Freistaat Thüringen zu erhalten, mündete in einen gestaffelten Prozess, dessen Abschluss die Beheimatung der Sammlung in Jena ist. Für diese Wahl spricht nicht nur die aktuelle, offene und internationale Ausrichtung der Universitätsstadt, die sich auch im Ausstellungsprogramm der Jenaer Kunstsammlung widerspiegelt, sondern auch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. So führte Theo van Doesburg nicht nur den Begriff der „Konkreten Kunst“ ein, er leitete 1921 bis 1922 auch Kurse am Weimarer Bauhaus, bewegte sich in den regionalen Künstlerkreisen und fand im Leiter des Jenaer Kunstvereins, Walter Dexel, einen Verbündeten. Im März 1922 war van Doesburg mit seinem Vortrag „Der Wille zum Stil“ erstmals Gast in Jena, nur wenige Monate später initiierte er – zusammen mit Tristan Tzara, Hans Arp, Kurt Schwitters und seiner Frau Nelly – den ersten großen Dada-Abend in Jena. Die Freundschaft mit Walter Dexel war bis zum Ende der Weimarer Republik ein Nährboden für ein Ausstellungsprogramm, das den neuen Richtungen der Kunst – von der Abstraktion bis zu gegenstandsfreien, geistigen Manifestationen – sehr aufgeschlossen begegnete. Nirgendwo sonst in Mitteldeutschland gab es in dieser Zeit, noch während der „Geburt“ der Konkreten Kunst, eine so offene Hinwendung zu den neuesten künstlerischen Ausdrucksformen. Dass Walter Dexel hierfür kaum Lob aber viel Kritik erntete, überrascht kaum und gleicht den „Kämpfen“ um den Expressionismus, als dieser in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg das Jenaer Ausstellungsprogramm erobert hatte.
Für die Ausstellung im TRAFO wurde die Sammlung neu sortiert, inhaltlich und konservatorisch gesichtet und in einer Auswahl von rund 50 Werken aufbereitet. Genau dort, von wo das neu erbaute Jenaer Damenviertel ab 1901 mit Elektroenergie versorgt wurde, ist nun das FORUM KONKRETE KUNST zu Hause. Das Industriegebäude diente den Jenaer Museen bereits in den 1990er Jahren als Magazin und ist heute als Ort der alternativen Kulturszene über Jena hinaus bekannt. Mit einer temporären Ausstellung bereichert das FORUM KONKRETE KUNST für vier Wochen ein Kulturangebot, welches durch Musik, Lesungen und Workshops schon lange kein Geheimtipp mehr ist und durch die Ausstellungen im alten Straßenbahndepot auch der bildenden Kunst eine Bühne bereitet hat.
Unter dem Dach von JenaKultur und der Kunstsammlung Jena wird das FORUM KONKRETE KUNST fortan bearbeitet, gepflegt und in das Ausstellungsprogramm einbezogen. Diese erste Ausstellung wird in enger Kooperation mit dem bürgerschaftlichen Verein „Ein Kunsthaus für Jena e. V.“ veranstaltet und vom Verein „INs NETZ e. V. / TRAFO“ unterstützt.
Auf der Loslösung von der äußeren objekthaften Realität basierend ist Konkrete Kunst eine Kunst, die gänzlich in gedanklichen Prozessen erarbeitet wird. Anstatt Vorhandenes zu abstrahieren, wird von rein geistigen Ideen ausgegangen, wodurch die vollkommen freie Anwendung der eigenen, bildgenuinen Mittel möglich wurde. Nicht externe, womöglich symbolische Bedeutungen werden von konkreten Werken transportiert, sondern mit Form, Farbe, Material und Raum sind es vielmehr das eigene künstlerische Vokabular sowie die Darstellungsgesetze und Verfahren, die planvoll zum Bildinhalt erhoben werden. In Ablehnung subjektiver, emotionsbetonter Positionen äußert sich dies meist in konsequenten Reduktionen auf essentielle Grundelemente wie geometrische Formen, während die Gestaltung häufig durch wissenschaftliche Denkkonzepte, die Erforschung mathematischer Gesetzmäßigkeiten oder ästhetische Theorien determiniert wird.
Für die meisten dieser Spezifika trat bereits Theo van Doesburg ein, als er 1924 den Begriff der „Konkreten Kunst“ einführte und 1930 im berühmt gewordenen Manifest der Künstlergruppe „Art Concret“ ausformulierte. Mit dem Ziel, eine universelle künstlerische Sprache zu finden, die die Malerei von ihren mimetischen Aufgaben endgültig befreit, reagierte der im Kontext der niederländischen De Stijl-Gruppe wirkende Maler und Architekt auf diese Weise auf den russischen Konstruktivismus und das Bauhaus, welche die Bedingungen zu einer Verabsolutierung gegenstandsloser Werke entscheidend begünstigt hatten. Neben der Konstruktion der Gemälde „aus rein bildnerischen Elementen […], d. h. aus Flächen und Farben“ forderte van Doesburg hierbei ausdrücklich eine mechanische, anti-impressionistische Technik – eine persönliche Handschrift wurde als Ausdruck von Individuellem oder Emotionalem abgelehnt.
Dass die Ideen van Doesburgs über dessen frühen Tod 1931 sowie den zweiten Weltkrieg hinaus wirkmächtig waren und sich die Konkrete Kunst so zu einer bedeutenden künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts entwickeln konnte, ist vor allem dem Schweizer Maler Max Bill anzurechnen, der sich mit Texten und Ausstellungen für deren Etablierung maßgebend engagierte. Um den 1908 in Winterthur geborenen Bauhaus-Schüler formierte sich insbesondere im Kreis der sogenannten „Züricher Konkreten“ ein Zentrum, in dem die Diskussionen um konkrete künstlerische Gestaltung fortgesetzt wurden, wobei speziell die programmatischen Schriften Bills die wesentlichen Weiterentwicklungen zu van Doesburg veranschaulichen: Explizit fügte er Licht und Bewegung zu Farbe und Form als gestalterische Mittel hinzu, was den Einschluss der Plastik betont. Vor allem gewann jedoch das Rationalitätsprinzip an Bedeutung, so dass sich der künstlerische Anspruch zunehmend intellektualisierte und die systematischen wissenschaftlichen Arbeitsmethoden mit einem gesteigerten Interesse für Mathematik Einzug hielten, wie sie in den 1950er und 1960er Jahren schließlich charakteristisch für die Konkrete Kunst werden sollten und – dies lässt sich im FORUM KONKRETE KUNST beobachten – bis heute sind. Wurden die frühen Konkreten noch vom Glauben an eine mystische Gestaltungskraft und der Vision einer neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit getrieben, eröffnete sich der Konkreten Kunst mit dem Zerfall derartiger Utopien nach 1930 die Vielfältigkeit einer systematischen bildnerischen Erforschung gedanklicher, sich Logizität und Wissenschaft unterwerfender Konzepte. Im FORUM KONKRETE KUNST spiegelt sich hierzu nicht nur wider, wie auf andere verwandte Kunstströmungen, etwa der Farbfeldmalerei, Minimal Art oder Op-Art reagiert wurde, sondern auch wie kontinuierlich die Grenzen der selbstreflexiven, sich streng auf die essenziellen Elemente begrenzenden konkreten Ästhetik werkimmanent ausgelotet werden.